MORO Fläche

Neue Flächenansprüche

Neue Flächenansprüche

Die Regional- und Stadtentwicklung ist zeitgleich mit unterschiedlichen langfristig wirkenden gesellschaftlichen Megatrends wie z. B. dem Klimawandel, der Digitalisierung oder dem Demographischen Wandel, sowie kurzfristigen und nicht oder nur kaum vorhersehbaren gesellschaftlichen Krisen, wie aktuell die seit Frühjahr 2020 anhaltende Corona-Pandemie und die aus dem Krieg in der Ukraine resultierende Energiekrise konfrontiert. Aus all diesen Trends und Entwick-
lungen resultieren heute wie auch zukünftig neue Flächenansprüche auf regionaler und lokaler Ebene. Eine mögliche, vom Trend zum Homeoffice ausgehende verstärkte Flächennachfrage im Stadtumland oder ggf. sogar darüber hinaus in ländlichen Räumen sowie Flächenansprüche, die im Kontext der Klimaschutzziele entstehen, z. B. für den Ausbau von erneuerbaren Energien wie der Windkraft, sind nur zwei solcher Beispiele. Hinzu kommen in Wachstumsregionen bereits unbefriedigte Flächenansprüche insb. für das Wohnen und von Teilmärkten im Bereich der Gewerbenutzung. Die aus diesen Trends resultierenden Flächenansprüche gilt es auf regionaler Ebene möglichst flächensparend zu gestalten.

Einzelhandel

Der Onlinehandel boomt, zwischen 2019 und 2021 ist der E-Commerce-Umsatz um ca. 32 % gewachsen (vgl. Statista 2022). Nicht erst seit der Corona-Pandemie stehen die steigenden Verkaufszahlen im Onlinehandel stagnierenden oder rückläufigen Verkaufs- und Besuchszahlen im stationären Einzelhandel gegenüber und führt hier zu veränderten Flächenbedarfen. Der innerstädtische Lieferverkehr auf der letzten Meile erhöht sich und große Einzelhandelsstandorte werden durch kleinteiligere Nutzungen abgelöst, Filialstandorte beispielsweise im Bankensektor schließen und bieten Platz für neue Nutzungen (vgl. Libbe et al. 2019: 14).

Logistik

Während im stationären Einzelhandel – abgesehen vom Lebensmitteleinzelhandel (vgl. Wotruba 2016: 29)– künftig eher Flächen frei werden, benötigen vor allem Logistikunternehmen neue Flächen (vgl. Englert 2021: 1). Onlinehandel und E-Commerce haben zwar einen in sich geringeren Flächenbedarf als der stationäre Einzelhandel (vgl. Wotruba 2016: 26), die Pandemie hat jedoch die Störanfälligkeit von Lieferketten aufgezeigt und zu höheren Lagerbedarfen geführt (vgl. Srinivas/Marathe 2021: 1). Die Größe und somit der Flächenbedarf von Warenlagergebäuden steigen an gut angebundenen Standorten in der Nähe großer Städte sowie an Verkehrsknotenpunkten kontinuierlich an und ziehen weitere Flächeninanspruchnahmen, beispielsweise für Verkehrs- und Verladeflächen, nach sich. Zwischen 2000 und 2015 stieg die neu errichtete Nutzfläche für Warenlagerhäuser im Schnitt um 3 % an (vgl. Kretzschmar et al. 2021: 138). Auch bei Logistikimmobilien bestehen Potenziale für Nachverdichtung. So können beispielsweise durch das Einziehen von Zwischendecken in bestehenden Gebäuden neue Flächen nutzbar gemacht werden (vgl. Institut Raum & Energie 2019: 2).

Außen/Fluchtzuwanderung

Zu der in den Wachstumsregionen nicht gedeckten Wohnungsnachfrage kommt ein positiver Wanderungssaldo Deutschlands hinzu, der sich ebenfalls im Wesentlichen in den Wachstumsregionen niederschlägt. Zusätzlich kommt es immer wieder zu größeren Migrationswellen durch Krisen (Klimawandel, Hunger, Krieg), bei denen in kurzer Zeit eine große Anzahl geflüchteter Personen aufgenommen werden. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Versorgung der Geflüchteten mit ausreichend Wohnraum. Je nach Szenario werden dabei innerhalb eines Jahres je nach Ausprägung der Migrationswellen 67.000 bis 158.000, laut Simons/Schmandt mit Bezug auf Szenarien für den Ukraine-Krieg sogar bis zu 500.000 neue Wohnungen durch die Fluchtwanderung benötigt (vgl. Deschermeier et al. 2016: 3; Simons/Schmandt 2022: 3). Durch den überproportionalen Zuzug von geflüchteten Personen in die Großstädte verstärkt sich der Druck auf die bereits angespannten urbanen Wohnungsmärkte.

Gewerbliche Großansiedlungen

Punktuell sorgen zudem industrielle Großansiedlungen für erhebliche Flächenansprüche in einzelnen Regionen. Aktuelles Beispiel hierfür sind die „Gigafactories“ von Tesla in Brandenburg und Intel in Magdeburg, deren direkter Flächenbedarf bei 300 (Tesla) bzw. 450 ha (Intel) liegt (vgl. Mitteldeutscher Rundfunk 2022; Landesregierung Brandenburg 2022). Neben den Flächen für die Betriebe selbst sind flächenwirksame Folgeeffekte durch die Ansiedlungen von Zulieferern und Dienstleistungsunternehmen, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, zusätzlichen Wohnraum sowie Flächen zur Energieerzeugung absehbar.

Neue Suburbanisierung

Steigende Einwohner- und Haushaltszahlen in Großstadtregionen führen zu steigenden Preisen in den Kernstädten. Auf der Angebotsseite des Wohnungsmarktes zeigt sich, dass der Wohnungsneubau in den Großstädten und Stadtregionen nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt halten kann. Zwar ist der Bauboom in den Großstädten nicht zu übersehen – zwischen 2010 und 2019 haben sich die Baufertigstellungen in den kreisfreien Großstädten verdoppelt (vgl. BBSR 2021: 47), dieser Bauboom macht sich jedoch erst in jüngster Zeit auf den Märkten quantitativ bemerkbar und liegt vielerorts immer noch deutlich unterhalb der Nachfrage(steigerungen). Die angespannte Lage auf den Mietmärkten der Großstädte wird durch gestiegene Bauzinsen und damit einhergehend verlangsamte (Neu-)Bautätigkeiten und Eigentumsbildung zusätzlich verschärft (vgl. Gornik/Pagenhardt 2023: 25 ff.). Auch die steigenden Wohnnebenkosten im Zuge der Energiekrise beeinflussen nachweislich Wohnstandortentscheidungen. Dolls/Lay geben die Zahl der Befragten, für die die Wohnkosten eine große finanzielle Belastung darstellt in einer Studie 2021 noch mit 12 %, im Herbst 2022 jedoch mit 20 % an. Zu hohe Heizkosten wurden dabei besonders häufig als Grund für einen geplanten Umzug genannt (vgl. Dolls/Lay 2023: 41 f.). Wohnungssuchende Haushalte weichen daher wieder vermehrt auf preisgünstigere Standorte im engeren und weiteren Umland der Großstädte aus und befördern so die Suburbanisierung. In diesen Lagen schlägt die Flächeninanspruchnahme doppelt zu Buche, da an den Rändern der Stadtregionen weniger dicht gebaut wird als in den Kernstädten (vgl. Ehrhardt et al. 2022: o.S.).

Homeoffice

Im Frühjahr 2020 arbeiteten 35 % aller Erwerbstätigen im Homeoffice (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 52ff.), reduzierten somit die arbeitsbezogenen Verkehrswege und steigerten die Bedeutung des nahen Wohnumfeldes. Versorgung, Erholung, Wohnen und Arbeiten fanden zunehmend im Quartier statt und zeigten die Bedeutung öffentlicher Räume mit hoher Aufenthaltsqualität auf. Der steigende Wohnraumbedarf, der durch die Notwendigkeit von Arbeitszimmern in den eigenen Wohnräumen in der Tendenz noch steigen wird, übt dabei weiteren Druck auf die ohnehin bereits angespannten Wohnungsmärkte aus (vgl. Neumann/Spellerberg/Eichholz 2022: 14). In der Krise zeichnete sich ein verstärkter Suburbanisierungstrend vor allem junger Familien ab (vgl. Just/Plößl 2021: 158; Dolls/Mehles 2021: 27f.). Während der Onlinehandel in vielen Bereichen auch vor der Pandemie bereits einen großen Anteil am Verkaufsvolumen ausmachte, erlebte vor allem der Lebensmittelonlinehandel einen starken Zuwachs in der Pandemie. Dies geht mit Flächenbedarfen für großflächige Logistikflächen als auch Flächen zur effizienten Gestaltung der „letzten Meile“ einher, während der innerstädtische Flächenbedarf im Einzelhandel weiter sinkt (vgl. Dederichs/Dannenberg 2021: 603).

Unsicher sind bislang die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf Wohnstandortentscheidungen. Während Just/Plößl festhalten, dass zukünftig die Bedeutung von Freiflächen, Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge und sozialen Zusammenkünften eine stärkere Rolle für Wohnstandortentscheidungen spielen wird, sehen Neumann et al. noch keine deutlichen Auswirkungen auf die Wohnstandortwahl als gesichert an (vgl. Just/Plößl 2021: 158; Neumann/Spellerberg/Eichholz 2022: 14). Bislang ist noch nicht abzusehen, ob sich nach der Pandemie die vorherige Ordnung wiederherstellt oder bestehende Verhaltensmuster aufgegeben und neue Entwicklungen angestoßen werden (vgl. Siedentop 2022: 95). Auch bei der Nutzung von Homeoffice, die zu Beginn der Pandemie einen Peak erreichte, seitdem aber bereits wieder nachlässt, ist noch offen, welche Entwicklungen nachhaltig bestehen bleiben und wie sich in diesem Zusammenhang die Bedarfe für Büroflächen entwickeln werden (vgl. Emmler/Kohlrausch 2021: 6). Als gesichert kann allerdings gelten, dass zumindest für einen Teil der Bevölkerung das (teilweise) Arbeiten aus dem Homeoffice Bestand haben wird und einerseits zu erhöhten Wohnflächenbedarfen für das Arbeiten im Homeoffice und andererseits erweiterten Suchräumen in der Wohnstandortwahl führen wird, da dem Arbeitsort in der Bewertung von Wohnstandortalternativen eine geringere Bedeutung zugemessen werden muss als in der Vergangenheit. Dolls/Lay konnten in einer Studie nachweisen, dass Personen, die mindestens anteilig im Homeoffice arbeiten eine 10 % höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, seit Beginn der Pandemie einen Wohnortwechsel vollzogen zu haben (vgl. Dolls/Lay 2023: 38; Osterhage/Münter 2021: 293).

Klimafolgenanpassung

Um die mikroklimatischen und gesundheitlichen Folgen des Klimawandels abzufedern, sind innerhalb der Städte mehr Flächen für grüne Infrastruktur nötig. Auch im Bereich des Hochwasserschutzes sind neue Flächen für den Ausbau technischer Anlagen zum Hochwasserschutz ebenso notwendig wie zusätzliche innerstädtische Grün- und Freiflächen, über die Regenwasser versickern kann. Durch Baumaßnahmen, die natürliche Überschwemmungsflächen von Flussökosystemen getrennt haben, steht bei großen Hochwasserereignissen nur noch etwa ein Drittel der ehemaligen Retentionsflächen zur Verfügung. Diese natürlichen Retentionsflächen sollten wieder nutzbar gemacht und um Fließrinnen zum Ablauf von Starkregenereignissen ergänzt werden (vl. ARL 2022a: 6ff.).

 

Klimafolgenanpassung bedeutet auch, Nachverdichtung in urbanen Gebieten einer weiteren Versiegelung von Flächen im Außenbereich vorzuziehen, um beispielsweise Flächen für CO2-Senken und Hochwasserretention im Umland der Städte freizuhalten. Dabei müssen die Nachverdichtungsprojekte auf ihre mikroklimatischen Auswirkungen hin geprüft werden, um Zielkonflikte mit den Erfordernissen der Klimafolgenanpassung zu vermeiden. Dies gilt für Neuversiegelung innerstädtischer Flächen ebenso wie für die Beeinträchtigung von Frischluftschneisen und den Veränderungen in Temperatur, Luftzirkulation und Belastung der technischen Infrastruktur bei Extremwetterereignissen, die damit einhergehen. Je nach mikroklimatischen Auswirkungen sollten auch bei Nachverdichtungsprojekten Flächen für Ausgleichsmaßnahmen bereitgestellt werden (vgl. Welters 2016: 37f.).

Remanenzeffekte

Seit 1990 ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland von 35,8 auf 45 m² (2010) und zuletzt weiter auf 47,9 m² im Jahr 2018 gestiegen (vgl. Sagner 2021: 28). Mit 81 m² pro Kopf ist der Einfluss von Single-Haushalten im Rentenalter dabei besonders groß (vgl. Weber 2020: 277). Dieser Trend geht einher mit steigendem Neubaubedarf und voraussichtlich einer weiterhin steigenden Ein- und Zweifamilienhausquote aufgrund des Kohorteneffekts, der von Generation zu Generation einen steigenden pro-Kopf Wohnflächenbedarf bewirkt (vgl. Weber 2020: 285; Braun 2014: 321ff.). Wohnstandortentscheidungen werden in der Regel aufgrund von veränderten Lebensumständen (z. B. Eintritt ins Erwerbsleben, Haushaltsveränderungen) und steigenden Wohnansprüchen getroffen. Eine entscheidende Lebensphase stellt die Phase der Familiengründung dar, da ein Haushalt in dieser Phase häufig eine große Wohnung oder ein Haus bezieht, die Wohnfläche pro Kopf aber i. d. R. moderat bleibt. Nach der Familienphase erhöht sich die Wohnfläche pro Kopf im weiteren Lebensverlauf, da mit dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners nur selten Anpassungen an der Wohnsituation hin zu einer kleineren Wohnung stattfinden (Remanenzeffekt). Im Zuge der Alterung der Bevölkerung steigt der Wohnflächenkonsum pro Kopf innerhalb des Wohnungsbestandes. Mit Eintritt der „Babyboomer” ins Rentenalterwird der Remanenzeffekt am Wohnungsmarkt eine noch größere Bedeutung entfalten als heute und zu neuen Wohnungsbedarfen führen.

Die steigenden Wohnnebenkosten, die derzeit maßgeblich durch die Energiekrise und die allgemein höheren Verbraucherpreise bedingt werden (vgl. Dolls/Lay 2023: 37 ff.), können Remanenzeffekte insofern abschwächen, als dass die zu bewirtschaftende Wohnfläche bei sinkender Wohnkaufkraft eine gestiegene Bedeutung erhält und es möglicherweise vorgezogen zu Überlegungen kommt, zu großzügige Wohnflächen aufzugeben.

Ungleiche Raumentwicklung

Auf absehbare Zeit werden urbane Agglomerationen in Zahl und Fläche weiter zunehmen. Dabei müssen Städte nicht nur zusätzlichen – nachverdichteten – Wohnraum schaffen, sondern auch die Flächenbedarfe neuer Verkehrsmittel, der Klimafolgenanpassung sowie der urbanen Produktion decken (vgl. Petrin et al. 2022: 40ff., 56ff.). Diese Entwicklung steht dabei teilweise in Kontrast zu den Flächenherausforderungen in rural geprägten Gebieten, die neben den Flächenbedarfen für erneuerbare Energien und dezentrale Versorgungsinfrastrukturen auch mit Fragen der Reaktivierung von Innenstädten und Leerstandsbekämpfung bei zunehmenden Tendenzen zu Neubau und Eigentumsbildung am Siedlungsrand umgehen müssen (vgl. Braun 2014: 330).
Während in wachsenden Märkten qualitativ hochwertiger und städtebaulich dichter Neubau unabdingbar sein wird, muss vor allem in schrumpfenden Märkten der Bedarf nach Wohnraum auch über eine qualitative Aufwertung des Bestands erfolgen, um weitere Flächenversiegelung zu verhindern und zeitgleich den Problematiken hoher Leerstandsquoten in den zentraleren Lagen entgegenzuwirken (vgl. Bierwirth 2021: 159ff.). Die Aufwertung und optimierte Nutzung bestehenden Wohnraums kann dabei auch zur Erreichung der Klimaziele beitragen, die sich nicht über reine Neubautätigkeit erreichen lassen (vgl. Bierwirth 2021: 159, 170).

Schwer abzuschätzen sind die Auswirkungen, die die Digitalisierung auf die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen entwickelt. Während in den 90er Jahren noch davon ausgegangen wurde, dass die Digitalisierung eine vollständige räumliche Unabhängigkeit mit sich bringen würde, weisen aktuelle Studien darauf hin, dass der Raum als Ort physischer Interaktion seinen Stellenwert weitgehend beibehalten hat (vgl. Siedentop/Stroms 2021: 10; Libbe et al. 2019: 5). Trotzdem verändert die Digitalisierung z. B. durch Onlinehandel und Homeoffice räumliche Bewegungsmuster, bietet das Potenzial, das Stadt-Land-Gefälle zu reduzieren und wirkt sich somit auch auf Flächenbedarfe aus (vgl. ARL 2022b: 3ff.; Siedentop/Stroms 2021: 10, 30f.). Die Corona-Pandemie hat in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten und das Interesse der Beschäftigten in wissensintensiven oder kreativen Branchen aufgezeigt, auch in ländlichen Gebieten beispielsweise in Co-Working Spaces zu arbeiten (vgl. Siedentop/Stroms 2021: 30). Welche veränderten Flächenbedarfe sich in diesem Zusammenhang langfristig ergeben, bleibt jedoch weitgehend unklar.

Investorengetriebene Stadtentwicklung

Wachsende Stadtregionen befinden sich in einem Zielkonflikt zwischen der Ausweisung und Mobilisierung von Bauland zur Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum und der Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme (vgl. Ehrhardt et al. 2022: o.S.). Die geplante Wohnbauinitiative des Bundes zur Schaffung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr (vgl. Bundesregierung 2022a) zur Bekämpfung der Wohnungsnot bringt eine hohe Flächenwirksamkeit mit sich. Nicht zuletzt da überregionale und global tätige, internationale Finanzinvestoren Immobilien in den deutschen Großstädten in den letzten Jahren sowohl als sicheres Anlageobjekt wie auch Spekulationsobjekt entdeckt haben, wird in den Großstädten zudem sehr häufig im Hochpreis- und Luxussegment gebaut, während sich der preisgebundene und preisgedämpfte Wohnungsbau auch aufgrund hohen Baulandpreise in den Kernstädten vielfach am Markt nicht durchsetzen kann. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verstärkt(e) diesen Effekt (vgl. Heeg 2020: 3f.; Belina 2020: 41ff.). Es bleibt abzuwarten, welche räumlichen Wirkungen die seit Frühjahr 2022 wieder steigenden Hypothekenzinsen haben werden. Kurzfristig haben diese zu einem Rückgang der Bautätigkeit und der Nachfrage nach Wohneigentum geführt (ifo Institut 2022). Aus früheren Hochzinsphasen ist bekannt, dass ein hohes Zinsniveau dazu führt, dass Haushalte vermehrt auf preisgünstigere Standorte im Stadtumland ausweichen und dieses damit Suburbanisierungsprozesse begünstigt (vgl. Münter/Tippel/Albrecht 2021: 5). 

Verkehrswende

"Obwohl der PKW-Besitz in urbanen Räumen vergleichsweise niedrig ist, dominieren PKW an vielen Orten das innerstädtische Straßenbild" (Jarass et al. 2021: 18). Eine Diversifizierung der Mobilitätsangebote und neue Nutzungsmuster, die beispielsweise durch veränderte Lebensstile entstehen, führen inzwischen zu einer stärker ausdifferenzierten Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 51). Zurzeit ergeben sich aus diesen Verhaltensänderungen häufig zusätzliche Flächenbedarfe und eher selten freiwerdende Flächen (vgl. Hofmann et al. 2020: 69ff.). Eine stärkere Konkurrenz um die vorhandenen Flächen ist vor allem in dichten urbanen Gebieten die Folge und erfordert eine Re-evaluation und Umverteilung städtischer Flächen für fließenden und ruhenden Verkehr (vgl. Jarass et al. 2021: 18ff.).

Neue Flächenansprüche ergeben sich aus dem digital gesteuerten stationären, aber auch dem „free-floating“ Car- und Bikesharing (vgl. Libbe et al. 2019: 17f.; Hofmann et al. 2020: 12f.; Radulova-Stahmer 2021: 981). Während gut ausgebautes stationäres Carsharing das Potenzial bietet, den MIV und somit mittel- bis langfristig auch die dafür in Anspruch genommenen Flächen zu reduzieren, zeigen sich "free-floating-Systeme" bislang eher als additive Elemente im Straßenraum (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 53; Hofmann et al. 2020: 69ff.). Viergutz/Michaelsen schätzen, dass ein stationsbasiertes Carsharing-Auto 10 bis 20 private PKW ersetzen kann (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 53ff.). Häufig werden beim stationsgebundenen Sharing Stellflächen in Verbindung mit Ladeinfrastruktur für E-Mobilität benötigt und umgesetzt. Auch das private Aufkommen an E-Mobilität benötigt Schnelladeinfrastrukturen im öffentlichen und privaten Raum (vgl. Meyer et al. 2020: 31; Radulova-Stahmer 2021: 984). Hier werden bis 2030 allein in Berlin schätzungsweise an die 55 Ladehubs – abhängig von deren Ausstattung – benötigt, die beispielsweise in Mobilstationen integriert werden können (vgl. Meyer et al. 2020: 28). Zudem besteht erhöhter Platzbedarf für qualitativ hochwertige Anlagen des Fußgängerverkehrs sowie des fließenden und ruhenden Fahrradverkehrs, letzteres sowohl lokal als auch regional über Radschnellwegenetze und die dazugehörige Begleitinfrastruktur (vgl. Monheim 2017: 139). Auch die Zunahme des intermodalen Verkehrs benötigt an zentralen Knotenpunkten Flächen für Mobilstationen, um vernetzte Mobilität attraktiv und konkurrenzfähig zu gestalten.

Die Auswirkungen, die Technologien wie das autonome Fahren künftig haben werden, sind bislang schwer abzuschätzen, in der Literatur werden hierzu verschiedene Szeanrien gezeichnet. Durch gut strukturierte gemeinschaftliche Nutzungsoptionen sind bessere Auslastungen der Carsharing-Flotten durch autonomes Fahren möglich, die zu weniger Standzeiten und einem verringerten Stellplatzbedarf führen können. Gut integrierte Zusatzangebote im ÖPNV für die erste und letzte Meile (z.B. automatisierte bedarfsgerechte Rufbusse) bieten eine Möglichkeit zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, die jedoch Auswirkungen auf die aktiven Mobilitätsformen haben kann (Agora Verkehrswende 2020: 23). Auch bei privaten PKW könnte ggf. der Flächenbedarf reduziert werden, wenn durch die Möglichkeit, sie „autonom“ anzufordern, die Bereitschaft steigt, sie zentral in Quartiersgaragen abzustellen. Daneben müssen jedoch beispielsweise auch Reboundeffekte durch erhöhten Komfort mitgedacht werden, die zu vermehrter MIV-Nutzung führen (vgl. Libbe et al. 2019: 21; Hofmann et al. 2020: 8; Radulova-Stahmer 2021: 981f.).

Energiewende

Zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes muss zukünftig verstärkt auf erneuerbare Energien gesetzt werden, für deren Erzeugung und (dezentrale) Verteilung ebenfalls Flächen zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise und der Abhängigkeit von russischen Energieträgern empfiehlt sich eine Diversifikation des Stromnetzes durch erneuerbare Energien. Stierstadt stellt heraus, dass sowohl in Deutschland als auch global potenziell genügend Flächen zum vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien vorhanden sind (vgl. Stierstadt 2019: 131). Wasserkraft und Biomasse bieten in Deutschland momentan keine weiteren Ausbaupotenziale (vgl. Becker/Klagge/Naumann 2021: 129), es bedarf somit verstärkt Flächen für Wind- und Solarenergie, die je nach Bundesland unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen. Die Bundesregierung plant in diesem Zusammenhang bis 2032 2 % der Bundesfläche für Windenergie auszuweisen (vgl. Bundesregierung 2022b). Durch die Konzentration der Erzeugung im Norden Deutschlands müssen von Nord nach Süd Flächen für Leitungsinfrastruktur bereitgestellt werden. Auch der Disparität zwischen Bedarf und Möglichkeiten zur Erzeugung zwischen Stadt und Land muss Rechnung getragen werden. Es gilt den Klimaschutz auch stärker regional zu betrachten und lokal umzusetzen (vgl. Priebs 2020: 22). Dabei muss künftig auch die Regionalplanung eine stärkere Rolle spielen und neue Steuerungsinstrumente implementieren(vgl. Wirth/Leibenath 2017: 396f.; Priebs 2020: 22).

Quellen

Quellen

Neue Flächenansprüche

 

Die Regional- und Stadtentwicklung ist zeitgleich mit unterschiedlichen langfristig wirkenden gesellschaftlichen Megatrends wie z. B. dem Klimawandel, der Digitalisierung oder dem Demographischen Wandel, sowie kurzfristigen und nicht oder nur kaum vorhersehbaren gesellschaftlichen Krisen, wie aktuell die seit Frühjahr 2020 anhaltende Corona-Pandemie und die aus dem Krieg in der Ukraine resultierende Energiekrise konfrontiert. Aus all diesen Trends und Entwick-
lungen resultieren heute wie auch zukünftig neue Flächenansprüche auf regionaler und lokaler Ebene. Eine mögliche, vom Trend zum Homeoffice ausgehende verstärkte Flächennachfrage im Stadtumland oder ggf. sogar darüber hinaus in ländlichen Räumen sowie Flächenansprüche, die im Kontext der Klimaschutzziele entstehen, z. B. für den Ausbau von erneuerbaren Energien wie der Windkraft, sind nur zwei solcher Beispiele. Hinzu kommen in Wachstumsregionen bereits unbefriedigte Flächenansprüche insb. für das Wohnen und von Teilmärkten im Bereich der Gewerbenutzung. Die aus diesen Trends resultierenden Flächenansprüche gilt es auf regionaler Ebene möglichst flächensparend zu gestalten.

Einzelhandel

 

Der Onlinehandel boomt, zwischen 2019 und 2021 ist der E-Commerce-Umsatz um ca. 32 % gewachsen (vgl. Statista 2022). Nicht erst seit der Corona-Pandemie stehen die steigenden Verkaufszahlen im Onlinehandel stagnierenden oder rückläufigen Verkaufs- und Besuchszahlen im stationären Einzelhandel gegenüber und führt hier zu veränderten Flächenbedarfen. Der innerstädtische Lieferverkehr auf der letzten Meile erhöht sich und große Einzelhandelsstandorte werden durch kleinteiligere Nutzungen abgelöst, Filialstandorte beispielsweise im Bankensektor schließen und bieten Platz für neue Nutzungen (vgl. Libbe et al. 2019: 14).

Logistik

 

Während im stationären Einzelhandel – abgesehen vom Lebensmitteleinzelhandel (vgl. Wotruba 2016: 29) – künftig eher Flächen frei werden, benötigen vor allem Logistikunternehmen neue Flächen (vgl. Englert 2021: 1). Onlinehandel und E-Commerce haben zwar einen in sich geringeren Flächenbedarf als der stationäre Einzelhandel (vgl. Wotruba 2016: 26), die Pandemie hat jedoch die Störanfälligkeit von Lieferketten aufgezeigt und zu höheren Lagerbedarfen geführt (vgl. Srinivas/Marathe 2021: 1). Die Größe und somit der Flächenbedarf von Warenlagergebäuden steigen an gut angebundenen Standorten in der Nähe großer Städte sowie an Verkehrsknotenpunkten kontinuierlich an und ziehen weitere Flächeninanspruchnahmen, beispielsweise für Verkehrs- und Verladeflächen, nach sich. Zwischen 2000 und 2015 stieg die neu errichtete Nutzfläche für Warenlagerhäuser im Schnitt um 3 % an (vgl. Kretzschmar et al. 2021: 138). Auch bei Logistikimmobilien bestehen Potenziale für Nachverdichtung. So können beispielsweise durch das Einziehen von Zwischendecken in bestehenden Gebäuden neue Flächen nutzbar gemacht werden (vgl. Institut Raum & Energie 2019: 2).

Klimafolgenanpassung

 

Um die mikroklimatischen und gesundheitlichen Folgen des Klimawandels abzufedern, sind innerhalb der Städte mehr Flächen für grüne Infrastruktur nötig. Auch im Bereich des Hochwasserschutzes sind neue Flächen für den Ausbau technischer Anlagen zum Hochwasserschutz ebenso notwendig wie zusätzliche innerstädtische Grün- und Freiflächen, über die Regenwasser versickern kann. Durch Baumaßnahmen, die natürliche Überschwemmungsflächen von Flussökosystemen getrennt haben, steht bei großen Hochwasserereignissen nur noch etwa ein Drittel der ehemaligen Retentionsflächen zur Verfügung. Diese natürlichen Retentionsflächen sollten wieder nutzbar gemacht und um Fließrinnen zum Ablauf von Starkregenereignissen ergänzt werden (vgl. ARL 2022a: 6ff.).

 

 

Klimafolgenanpassung bedeutet auch, Nachverdichtung in urbanen Gebieten einer weiteren Versiegelung von Flächen im Außenbereich vorzuziehen, um beispielsweise Flächen für CO2-Senken und Hochwasserretention im Umland der Städte freizuhalten. Dabei müssen die Nachverdichtungsprojekte auf ihre mikroklimatischen Auswirkungen hin geprüft werden, um Zielkonflikte mit den Erfordernissen der Klimafolgenanpassung zu vermeiden. Dies gilt für Neuversiegelung innerstädtischer Flächen ebenso wie für die Beeinträchtigung von Frischluftschneisen und den Veränderungen in Temperatur, Luftzirkulation und Belastung der technischen Infrastruktur bei Extremwetterereignissen, die damit einhergehen. Je nach mikroklimatischen Auswirkungen sollten auch bei Nachverdichtungsprojekten Flächen für Ausgleichsmaßnahmen bereitgestellt werden (vgl. Welters 2016: 37f.).

Außen/Fluchtzuwanderung

 

Zu der in den Wachstumsregionen nicht gedeckten Wohnungsnachfrage kommt ein positiver Wanderungssaldo Deutschlands hinzu, der sich ebenfalls im Wesentlichen in den Wachstumsregionen niederschlägt. Zusätzlich kommt es immer wieder zu größeren Migrationswellen durch Krisen (Klimawandel, Hunger, Krieg), bei denen in kurzer Zeit eine große Anzahl geflüchteter Personen aufgenommen werden. Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Versorgung der Geflüchteten mit ausreichend Wohnraum. Je nach Szenario werden dabei innerhalb eines Jahres je nach Ausprägung der Migrationswellen 67.000 bis 158.000, laut Simons/Schmandt mit Bezug auf Szenarien für den Ukraine-Krieg sogar bis zu 500.000 neue Wohnungen durch die Fluchtwanderung benötigt. Durch den überproportionalen Zuzug von geflüchteten Personen in die Großstädte verstärkt sich der Druck auf die bereits angespannten urbanen Wohnungsmärkte.

Gewerbliche Großansiedlungen

 

Punktuell sorgen zudem industrielle Großansiedlungen für erhebliche Flächenansprüche in einzelnen Regionen. Aktuelles Beispiel hierfür sind die „Gigafactories“ von Tesla in Brandenburg und Intel in Magdeburg, deren direkter Flächenbedarf bei 300 (Tesla) bzw. 450 ha (Intel) liegt (vgl. Mitteldeutscher Rundfunk 2022; Landesregierung Brandenburg 2022). Neben den Flächen für die Betriebe selbst sind flächenwirksame Folgeeffekte durch die Ansiedlungen von Zulieferern und Dienstleistungsunternehmen, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, zusätzlichen Wohnraum sowie Flächen zur Energieerzeugung absehbar.

Homeoffice

 

Im Frühjahr 2020 arbeiteten 35 % aller Erwerbstätigen im Homeoffice, reduzierten somit die arbeitsbezogenen Verkehrswege und steigerten die Bedeutung des nahen Wohnumfeldes. Versorgung, Erholung, Wohnen und Arbeiten fanden zunehmend im Quartier statt und zeigten die Bedeutung öffentlicher Räume mit hoher Aufenthaltsqualität auf. Der steigende Wohnraumbedarf, der durch die Notwendigkeit von Arbeitszimmern in den eigenen Wohnräumen in der Tendenz noch steigen wird, übt dabei weiteren Druck auf die ohnehin bereits angespannten Wohnungsmärkte aus. In der Krise zeichnete sich ein verstärkter Suburbanisierungstrend vor allem junger Familien ab. Während der Onlinehandel in vielen Bereichen auch vor der Pandemie bereits einen großen Anteil am Verkaufsvolumen ausmachte, erlebte vor allem der Lebensmittelonlinehandel einen starken Zuwachs in der Pandemie. Dies geht mit Flächenbedarfen für großflächige Logistikflächen als auch Flächen zur effizienten Gestaltung der „letzten Meile“ einher, während der innerstädtische Flächenbedarf im Einzelhandel weiter sinkt.

Unsicher sind bislang die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf Wohnstandortentscheidungen. Während Just/Plößl festhalten, dass zukünftig die Bedeutung von Freiflächen, Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge und sozialen Zusammenkünften eine stärkere Rolle für Wohnstandortentscheidungen spielen wird, sehen Neumann et al. noch keine deutlichen Auswirkungen auf die Wohnstandortwahl als gesichert an. Bislang ist noch nicht abzusehen, ob sich nach der Pandemie die vorherige Ordnung wiederherstellt oder bestehende Verhaltensmuster aufgegeben und neue Entwicklungen angestoßen werden. Auch bei der Nutzung von Homeoffice, die zu Beginn der Pandemie einen Peak erreichte, seitdem aber bereits wieder nachlässt, ist noch offen, welche Entwicklungen nachhaltig bestehen bleiben und wie sich in diesem Zusammenhang die Bedarfe für Büroflächen entwickeln werden. Als gesichert kann allerdings gelten, dass zumindest für einen Teil der Bevölkerung das (teilweise) Arbeiten aus dem Homeoffice Bestand haben wird und einerseits zu erhöhten Wohnflächenbedarfen für das Arbeiten im Homeoffice und andererseits erweiterten Suchräumen in der Wohnstandortwahl führen wird, da dem Arbeitsort in der Bewertung von Wohnstandortalternativen eine geringere Bedeutung zugemessen werden muss als in der Vergangenheit. Dolls/Lay konnten in einer Studie nachweisen, dass Personen, die mindestens anteilig im Homeoffice arbeiten eine 10 % höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, seit Beginn der Pandemie einen Wohnortwechsel vollzogen zu haben.

Neue Suburbanisierung

 

Steigende Einwohner- und Haushaltszahlen in Großstadtregionen führen zu steigenden Preisen in den Kernstädten. Auf der Angebotsseite des Wohnungsmarktes zeigt sich, dass der Wohnungsneubau in den Großstädten und Stadtregionen nicht mit der steigenden Nachfrage Schritt halten kann. Zwar ist der Bauboom in den Großstädten nicht zu übersehen – zwischen 2010 und 2019 haben sich die Baufertigstellungen in den kreisfreien Großstädten verdoppelt, dieser Bauboom macht sich jedoch erst in jüngster Zeit auf den Märkten quantitativ bemerkbar und liegt vielerorts immer noch deutlich unterhalb der Nachfrage(steigerungen). Die angespannte Lage auf den Mietmärkten der Großstädte wird durch gestiegene Bauzinsen und damit einhergehend verlangsamte (Neu-)Bautätigkeiten und Eigentumsbildung zusätzlich verschärft. Auch die steigenden Wohnnebenkosten im Zuge der Energiekrise beeinflussen nachweislich Wohnstandortentscheidungen. Dolls/Lay geben die Zahl der Befragten, für die die Wohnkosten eine große finanzielle Belastung darstellt in einer Studie 2021 noch mit 12 %, im Herbst 2022 jedoch mit 20 % an. Zu hohe Heizkosten wurden dabei besonders häufig als Grund für einen geplanten Umzug genannt. Wohnungssuchende Haushalte weichen daher wieder vermehrt auf preisgünstigere Standorte im engeren und weiteren Umland der Großstädte aus und befördern so die Suburbanisierung. In diesen Lagen schlägt die Flächeninanspruchnahme doppelt zu Buche, da an den Rändern der Stadtregionen weniger dicht gebaut wird als in den Kernstädten.

Investorengetriebene Stadtentwicklung

 

Wachsende Stadtregionen befinden sich in einem Zielkonflikt zwischen der Ausweisung und Mobilisierung von Bauland zur Schaffung von (bezahlbarem) Wohnraum und der Reduzierung der Flächenneuinanspruchnahme. Die geplante Wohnbauinitiative des Bundes zur Schaffung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr zur Bekämpfung der Wohnungsnot bringt eine hohe Flächenwirksamkeit mit sich. Nicht zuletzt da überregionale und global tätige, internationale Finanzinvestoren Immobilien in den deutschen Großstädten in den letzten Jahren sowohl als sicheres Anlageobjekt wie auch Spekulationsobjekt entdeckt haben, wird in den Großstädten zudem sehr häufig im Hochpreis- und Luxussegment gebaut, während sich der preisgebundene und preisgedämpfte Wohnungsbau auch aufgrund hohen Baulandpreise in den Kernstädten vielfach am Markt nicht durchsetzen kann. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verstärkt(e) diesen Effekt. Es bleibt abzuwarten, welche räumlichen Wirkungen die seit Frühjahr 2022 wieder steigenden Hypothekenzinsen haben werden. Kurzfristig haben diese zu einem Rückgang der Bautätigkeit und der Nachfrage nach Wohneigentum geführt. Aus früheren Hochzinsphasen ist bekannt, dass ein hohes Zinsniveau dazu führt, dass Haushalte vermehrt auf preisgünstigere Standorte im Stadtumland ausweichen und dieses damit Suburbanisierungsprozesse begünstigt.

Ungleiche Raumentwicklung

 

Auf absehbare Zeit werden urbane Agglomerationen in Zahl und Fläche weiter zunehmen. Dabei müssen Städte nicht nur zusätzlichen – nachverdichteten – Wohnraum schaffen, sondern auch die Flächenbedarfe neuer Verkehrsmittel, der Klimafolgenanpassung sowie der urbanen Produktion decken. Diese Entwicklung steht dabei teilweise in Kontrast zu den Flächenherausforderungen in rural geprägten Gebieten, die neben den Flächenbedarfen für erneuerbare Energien und dezentrale Versorgungsinfrastrukturen auch mit Fragen der Reaktivierung von Innenstädten und Leerstandsbekämpfung bei zunehmenden Tendenzen zu Neubau und Eigentumsbildung am Siedlungsrand umgehen müssen.
Während in wachsenden Märkten qualitativ hochwertiger und städtebaulich dichter Neubau unabdingbar sein wird, muss vor allem in schrumpfenden Märkten der Bedarf nach Wohnraum auch über eine qualitative Aufwertung des Bestands erfolgen, um weitere Flächenversiegelung zu verhindern und zeitgleich den Problematiken hoher Leerstandsquoten in den zentraleren Lagen entgegenzuwirken. Die Aufwertung und optimierte Nutzung bestehenden Wohnraums kann dabei auch zur Erreichung der Klimaziele beitragen, die sich nicht über reine Neubautätigkeit erreichen lassen.

 

Schwer abzuschätzen sind die Auswirkungen, die die Digitalisierung auf die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen entwickelt. Während in den 90er Jahren noch davon ausgegangen wurde, dass die Digitalisierung eine vollständige räumliche Unabhängigkeit mit sich bringen würde, weisen aktuelle Studien darauf hin, dass der Raum als Ort physischer Interaktion seinen Stellenwert weitgehend beibehalten hat. Trotzdem verändert die Digitalisierung z. B. durch Onlinehandel und Homeoffice räumliche Bewegungsmuster, bietet das Potenzial, das Stadt-Land-Gefälle zu reduzieren und wirkt sich somit auch auf Flächenbedarfe aus. Die Corona-Pandemie hat in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten und das Interesse der Beschäftigten in wissensintensiven oder kreativen Branchen aufgezeigt, auch in ländlichen Gebieten beispielsweise in Co-Working Spaces zu arbeiten. Welche veränderten Flächenbedarfe sich in diesem Zusammenhang langfristig ergeben, bleibt jedoch weitgehend unklar.

Remanenzeffekte

 

Seit 1990 ist die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland von 35,8 auf 45 m² (2010) und zuletzt weiter auf 47,9 m² im Jahr 2018 gestiegen. Mit 81 m² pro Kopf ist der Einfluss von Single-Haushalten im Rentenalter dabei besonders groß. Dieser Trend geht einher mit steigendem Neubaubedarf und voraussichtlich einer weiterhin steigenden Ein- und Zweifamilienhausquote aufgrund des Kohorteneffekts, der von Generation zu Generation einen steigenden pro-Kopf Wohnflächenbedarf bewirkt. Wohnstandortentscheidungen werden in der Regel aufgrund von veränderten Lebensumständen (z. B. Eintritt ins Erwerbsleben, Haushaltsveränderungen) und steigenden Wohnansprüchen getroffen. Eine entscheidende Lebensphase stellt die Phase der Familiengründung dar, da ein Haushalt in dieser Phase häufig eine große Wohnung oder ein Haus bezieht, die Wohnfläche pro Kopf aber i. d. R. moderat bleibt. Nach der Familienphase erhöht sich die Wohnfläche pro Kopf im weiteren Lebensverlauf, da mit dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners nur selten Anpassungen an der Wohnsituation hin zu einer kleineren Wohnung stattfinden (Remanenzeffekt). Im Zuge der Alterung der Bevölkerung steigt der Wohnflächenkonsum pro Kopf innerhalb des Wohnungsbestandes. Mit Eintritt der „Babyboomer” ins Rentenalterwird der Remanenzeffekt am Wohnungsmarkt eine noch größere Bedeutung entfalten als heute und zu neuen Wohnungsbedarfen führen.

 

Die steigenden Wohnnebenkosten, die derzeit maßgeblich durch die Energiekrise und die allgemein höheren Verbraucherpreise bedingt werden, können Remanenzeffekte insofern abschwächen, als dass die zu bewirtschaftende Wohnfläche bei sinkender Wohnkaufkraft eine gestiegene Bedeutung erhält und es möglicherweise vorgezogen zu Überlegungen kommt, zu großzügige Wohnflächen aufzugeben.

Energiewende

 

Zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes muss zukünftig verstärkt auf erneuerbare Energien gesetzt werden, für deren Erzeugung und (dezentrale) Verteilung ebenfalls Flächen zur Verfügung gestellt werden müssen. Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise und der Abhängigkeit von russischen Energieträgern empfiehlt sich eine Diversifikation des Stromnetzes durch erneuerbare Energien. Stierstadt stellt heraus, dass sowohl in Deutschland als auch global potenziell genügend Flächen zum vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien vorhanden sind. Wasserkraft und Biomasse bieten in Deutschland momentan keine weiteren Ausbaupotenziale, es bedarf somit verstärkt Flächen für Wind- und Solarenergie, die je nach Bundesland unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen. Die Bundesregierung plant in diesem Zusammenhang bis 2032 2 % der Bundesfläche für Windenergie auszuweisen. Durch die Konzentration der Erzeugung im Norden Deutschlands müssen von Nord nach Süd Flächen für Leitungsinfrastruktur bereitgestellt werden. Auch der Disparität zwischen Bedarf und Möglichkeiten zur Erzeugung zwischen Stadt und Land muss Rechnung getragen werden. Es gilt den Klimaschutz auch stärker regional zu betrachten und lokal umzusetzen. Dabei muss künftig auch die Regionalplanung eine stärkere Rolle spielen und neue Steuerungsinstrumente implementieren.

Verkehrswende

„Obwohl der PKW-Besitz in urbanen Räumen vergleichsweise niedrig ist, dominieren PKW an vielen Orten das innerstädtische Straßenbild“ (Jarass et al. 2021: 18). Eine Diversifizierung der Mobilitätsangebote und neue Nutzungsmuster, die beispielsweise durch veränderte Lebensstile entstehen, führen inzwischen zu einer stärker ausdifferenzierten Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 51). Zurzeit ergeben sich aus diesen Verhaltensänderungen häufig zusätzliche Flächenbedarfe und eher selten freiwerdende Flächen (vgl. Hofmann et al. 2020: 69ff.). Eine stärkere Konkurrenz um die vorhandenen Flächen ist vor allem in dichten urbanen Gebieten die Folge und erfordert eine Re-evaluation und Umverteilung städtischer Flächen für fließenden und ruhenden Verkehr (vgl. Jarass et al. 2021: 18ff.).

Neue Flächenansprüche ergeben sich aus dem digital gesteuerten stationären, aber auch dem „free-floating“ Car- und Bikesharing (vgl. Libbe et al. 2019: 17f.; Hofmann et al. 2020: 12f.; Radulova-Stahmer 2021: 981). Während gut ausgebautes stationäres Carsharing das Potenzial bietet, den MIV und somit mittel- bis langfristig auch die dafür in Anspruch genommenen Flächen zu reduzieren, zeigen sich „free-floating-Systeme“ bislang eher als additive Elemente im Straßenraum (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 53; Hofmann et al. 2020: 69ff.). Viergutz/Michaelsen schätzen, dass ein stationsbasiertes Carsharing-Auto 10 bis 20 private PKW ersetzen kann (vgl. Viergutz/Michaelsen 2021: 53ff.). Häufig werden beim stationsgebundenen Sharing Stellflächen in Verbindung mit Ladeinfrastruktur für E-Mobilität benötigt und umgesetzt. Auch das private Aufkommen an E-Mobilität benötigt Schnelladeinfrastrukturen im öffentlichen und privaten Raum (vgl. Meyer et al. 2020: 31; Radulova-Stahmer 2021: 984). Hier werden bis 2030 allein in Berlin schätzungsweise an die 55 Ladehubs – abhängig von deren Ausstattung – benötigt, die beispielsweise in Mobilstationen integriert werden können (vgl. Meyer et al. 2020: 28). Zudem besteht erhöhter Platzbedarf für qualitativ hochwertige Anlagen des Fußgängerverkehrs sowie des fließenden und ruhenden Fahrradverkehrs, letzteres sowohl lokal als auch regional über Radschnellwegenetze und die dazugehörige Begleitinfrastruktur (vgl. Monheim 2017: 139). Auch die Zunahme des intermodalen Verkehrs benötigt an zentralen Knotenpunkten Flächen für Mobilstationen, um vernetzte Mobilität attraktiv und konkurrenzfähig zu gestalten.

Die Auswirkungen, die Technologien wie das autonome Fahren künftig haben werden, sind bislang schwer abzuschätzen, in der Literatur werden hierzu verschiedene Szeanrien gezeichnet. Durch gut strukturierte gemeinschaftliche Nutzungsoptionen sind bessere Auslastungen der Carsharing-Flotten durch autonomes Fahren möglich, die zu weniger Standzeiten und einem verringerten Stellplatzbedarf führen können. Gut integrierte Zusatzangebote im ÖPNV für die erste und letzte Meile (z.B. automatisierte bedarfsgerechte Rufbusse) bieten eine Möglichkeit zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV, die jedoch Auswirkungen auf die aktiven Mobilitätsformen haben kann (Agora Verkehrswende 2020: 23). Auch bei privaten PKW könnte ggf. der Flächenbedarf reduziert werden, wenn durch die Möglichkeit, sie „autonom“ anzufordern, die Bereitschaft steigt, sie zentral in Quartiersgaragen abzustellen. Daneben müssen jedoch beispielsweise auch Reboundeffekte durch erhöhten Komfort mitgedacht werden, die zu vermehrter MIV-Nutzung führen (vgl. Libbe et al. 2019: 21; Hofmann et al. 2020: 8; Radulova-Stahmer 2021: 981f.).

Quellen: